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Ist das so?

Eine kleine Nachtkritik

Kosten, Anspruch, das Leben

Ob die Berufsunfähigkeitsversicherung tatsächlich die wichtigste Versicherung schlechthin für berufstätige Menschen ist, diese Frage umtreibt mich schon lange. Und wie Du dir vorstellen kannst, nicht ohne Grund. Auch auf die Gefahr hin, auf diesen Beitrag von Kollegen*innen Shitstorm zu ernten, hau ich raus mit meiner Analyse. 

Es geht in diesem Beitrag nicht explizit um Berufsunfähigkeitsversicherungen für Juristinnen, sondern um eine Analyse diverser Aussagen und was sie bedeuten, wenn man sie zu Ende denkt. Dieser Artikel ist ausdrücklich nicht auf Dienstunfähigkeitsversicherungen zu beziehen, da auf diese sowohl ein anderer Bewertungszeitraum als auch ein anderer Prüfungsmaßstab anzuwenden ist. Zum Unterschied Dienstunfähigkeit – Berufsunfähigkeit hier entlang.

Es gibt zwei Personengruppen, die regelmäßig keine Berufsunfähigkeitsversicherungen (BU) haben: Das sind die Menschen, die sich keine BU leisten können und die, die auf Grund diverser Vorerkrankungen von einer BU nicht mehr angenommen werden. 

 

Überlegung 1: Berufstätige, die sich keine BU leisten können

Wie Du über mich lesen konntest, habe ich nach Realschulabschluss erst eine Friseur-Ausbildung absolviert. Und irgendwann bekommt man mit, dass man bereits während der Ausbildung eine BU abschließen sollte. Für mich undenkbar! Ich war 18, hatte bereits meine eigene Wohnung, lebte von paar Euros Ausbildungsvergütung plus Berufsausbildungsbeihilfe und Kindergeld. Ich kam ganz gut klar damit, aber große Sprünge waren nicht drin. Als Friseur-Gesellin liegt der monatliche Beitrag für eine BU bei ca. 130,- €. Ja, Friseure sind durch den ständigen Kontakt mit allergenen Stoffen extrem allergiegefährdet. Auch Rückenprobleme durch das viele Stehen sind Standard. Das anfängliche Brutto einer Friseurin (Single, keine Kinder) liegt bei ca. 1690,- €, das Netto bei ca. 1300,- €. Man muss nun kein Rechengenie sein, um festzustellen, dass ein monatlicher Beitrag in eine BU in Höhe von 130,- € wohl nur von den allerwenigsten aufgebracht wird. 

 

Überlegung 2: Vorerkrankte, die von der BU nicht angenommen werden

Von einer BU nicht mehr angenommen zu werden, geht relativ fix: Asthma oder Übergewicht und schon war es das. Alternativ werden ganze Körperregionen ausgeschlossen, wie beispielsweise Wirbelsäule. Und das kann Jede treffen, egal ob Juristin, Friseurin, Sekretärin, Ärztin, etc..

 

Überlegung 3: Was bedeutet das nun für diese Menschen?

Wenn die Berufsunfähigkeitsversicherung nun die wichtigste Versicherung sein soll, um die Arbeitskraft abzusichern, was heißt das jetzt für Menschen, die aus den beiden oben genannten Gründen keine haben? Leben diese Menschen am Abgrund? Leben sie in ständiger Gefahr? Und vor allem: Was können sie tun? 

Zum einen: Die wichtigste Versicherung ist die Krankenversicherung, deshalb ist sie eine Pflichtversicherung. Um den Bedeutungszusammenhang von BU und Risiko greifen zu können, muss man wissen, wie eine BU überhaupt funktioniert, wann sie leistet und wann nicht (mehr).

Vorausgesetzt die Bausteine sind optimal zusammengesetzt, leistet eine BU dann, wenn mindestens 50% Berufsunfähigkeit vorliegen (wenigstens 6 Monate, vorauss. dauerhaft) und der Kunde keiner Tätigkeit nachgehen kann, die seiner Ausbildung, den Fähigkeiten, der sozialen Lebensstellung und in etwa dem vorherigen Verdienst entspricht. Was im Umkehrschluss bedeutet: Die BU leistet dann nicht mehr, wenn eine neue vollwertige, gleichwertige und zumutbare Berufstätigkeit aufgenommen wird, ggf. durch Umschulung. 

Beispiel 1: Heizungsmonteur schult wegen Berufsunfähigkeit um zum technischen Zeichner. Arbeitet in diesem Beruf und verdient so viel wie in seinem vorherigen Beruf. Die BU ist von der Leistung damit befreit (OLG Oldenburg)
Beispiel 2: Estrichleger schult wegen Berufsunfähigkeit um zum Außenhandelskaufmann und arbeitet als kaufmännischer Angestellter. Er verdient geringfügig weniger als zuvor. Die BU muss nicht mehr leisten (OLG Oldenburg).

Warum ist das so? Die Berufsunfähigkeitsversicherung ist eine sogenannte Lohnersatzleistung und soll im Fall der Fälle die versicherte Person vor dem finanziellen Ruin schützen. Es soll im Rahmen einer Berufsunfähigkeit möglich sein, alle abgeschlossenen Verträge wie Sparverträge, Rentenversicherungen, Bankdarlehen, etc. weiterhin bedienen zu können – bis zum Rentenalter. Sie ist ein Baustein der Absicherung existenzgefährdender Risiken

Wenn somit mit einer BU-Rente bis Renteneintrittsalter „geworben“ wird, so heißt das: Im absoluten worst case Szenario, wenn nach den o. g. Kriterien kein entsprechender Beruf (bis zum Renteneintrittsalter) jemals wieder ausgeübt werden kann. 

 

Überlegung 4: Was sind die häufigsten Gründe für eine Berufsunfähigkeit? 

Dazu gibt es statistische Erhebungen von Morgen und Morgen:
31 % Psychische Erkrankungen und Nervenkrankheiten
21,9 % Erkrankungen des Skelett- und Bewegungsapparates
15,7 % Sonstige Erkrankungen
14,1 % Krebs und andere bösartige Geschwüre
9,7 % Unfälle
7,6 % Erkrankungen des Herzens und des Gefäßsystems

Der Anstieg psychischer Erkrankungen ist durch Überlastung im Berufsalltag gestiegen und betrifft gerade auch Akademikerinnen und damit auch Juristinnen. Eine weitergehende fachliche Analyse der einzelnen Erkrankungen kann mir an dieser Stelle nicht zustehen. Dennoch muss die Überlegung weiter geführt werden. 

Was bedeutet diese Statistik für die Menschen, die keine BU abschließen können? 

 

Überlegung 5: Was sind Lösungen für Menschen, die keine BU haben? 

Abfederung 1: Ein Zwischenschritt zur Berufsunfähigkeit kann längere Krankheit sein. Bereits in diesem Stadium entsteht eine für manche existenzbedrohliche Lücke. Diese gilt es abzusichern (Krankentagegeld).

Abfederung 2: Wie in der Auswertung ersichtlich, sind auch Unfälle – die in der Regel nicht beeinflussbar sind – für eine Berufsunfähigkeit verantwortlich. Hier ließe sich zumindest diese Lücke durch eine Unfallversicherung schließen. Doch Achtung: Diese beiden Absicherungen sind nicht deckungsgleich. Wann genau eine Unfallversicherung leistet, liest Du in diesem Beitrag hier: Unfallversicherung

Abfederung 3: Dann gibt es, statt einer Berufsunfähigkeitsversicherung eine sogenannte Grundfähigkeiten-Versicherung. Auf diese werde ich in einem gesonderten Beitrag eingehen. Sie ist für all jene geeignet, die ihren Schutz nicht von ihrem Beruf abhängig machen möchten. Dennoch: Auch diese kostet nicht unerheblich, was das Problem der Friseurin nicht löst. Auch können vorerkrankte Personen von der Grundfähigkeiten-Versicherung ausgeschlossen werden, so dass ebenfalls dieses Problem weiterhin besteht. 

 

Überlegung 6: Was kannst Du selbst tun? Einfach gesund bleiben? 

Klingt das wie ein Allgemeinplatz für dich? Ja ja, die Gesundheit ist unser höchstes Gut. Wissen wir doch alle. Aber ist es nicht so, dass wir vielen Dingen vorbeugen können? Und natürlich weiß ich, dass wir auf einiges vermeintlich oder tatsächlich keinen Einfluss haben. Ja. Das weiß ich. Und gerade deshalb sollten wir erst recht auf die Dinge Einfluss nehmen, auf die wir Einfluss haben können, nicht wahr? 

Und jetzt kann ich alles auflisten, was Du eh schon weißt: Gesunde Ernährung, Bewegung, Sport, Ruhepausen, ein gesundes Umfeld, Eigenverantwortung, finanzielle Stabilität. Aber… Erinnerung schadet nicht! Daher an dieser Stelle ein paar wirklich fantastische Buchtipps, die dir immer wieder deine Eigenverantwortung ins Gedächtnis holen. 

Psychoneuroimmunologe Prof. Dr. Dr. Christian Schubert: Was uns krank macht, was uns heilt
Prof. Sven Voelpel: Die Jungbrunnen-Formel
Wim Hof: Nie wieder krank

Überlegung 7: Geld, das Du hast, musst Du nicht versichern

Du versicherst mit einer BU deine Arbeitskraft. Aber in Wirklichkeit versicherst Du das Geld, das nicht mehr auf deinem Konto landet, wenn Du es nicht durch deine Arbeitskraft beschaffen kannst. In vielen Fällen leistet die BU für den Zeitraum zwischen zuletzt ausgeübtem Beruf und dem nachfolgend ausgeübten Beruf nach oben genannten Kriterien. Wenn Du diesen Zeitraum nun aus eigener Kraft überwinden kannst, bist Du ein ganz großes Stück auf der sicheren Seite. Das heißt für dich konkret:

Vermögensaufbau, Vermögensaufbau, Vermögensaufbau.

Dies trifft auf dich vor allen Dingen dann zu, wenn Du auf Grund Vorerkrankungen keine BU abschließen kannst, sie dir aber leisten könntest. Dann ist klar, dass nicht nur dieser potentielle Beitrag, sondern noch ein ordentlicher Schnaps obendrauf in deinen Vermögensaufbau fließen sollte. 

Das hilft den Geringverdienern nicht weiter. Ich weiß. Denn wenn oftmals kein Geld für eine BU zur Verfügung steht, dann ist mit Vermögensaufbau auch nicht viel getan. An dieser Stelle kann ich nur darauf hinweisen, wirklich Lösungen zu suchen und zu finden, die zum einen deine Einnahmen erhöhen und zum anderen die Ausgaben senken. Zu beiden Themen habe ich bereits Artikel geschrieben: 

Wenn es hinten und vorne nicht reicht (Einnahmen erhöhen) 

44 Spartipps: Sparpotentiale erkennen

Und dann nicht vergessen: Achte auf deine Gesundheit! Das kannst Du immer tun! 

 

Fazit

Ich mag es ganz einfach nicht, wenn mit Ängsten gespielt wird. Es hilft nichts, gebetsmühlenartig zu wiederholen, die BU wäre die wichtigste Versicherung schlechthin, wenn keine Lösungen gefunden werden für Menschen, die diesen Absicherungs-Baustein nicht abdecken können – egal aus welchen Gründen.

Eine Berufsunfähigkeitsversicherung steht nie für sich allein im luftleeren Raum. Man beachtet in der Beratung immer die gesamte Lebenssituation. Damit ist sicherlich ein anderes Risiko gegeben, wenn der Chirurg nach über 10-jähriger Ausbildung als Alleinverdiener der 6-köpfigen Familie, der zudem das Immobiliendarlehen bedient, seine Arbeitskraft verliert, als wenn die alleinstehende Friseurin nach 2-jähriger Ausbildung eine Allergie gegen bestimmte Stoffe entwickelt und aller Wahrscheinlichkeit nach umschulen wird. So ist die gesamte, persönliche Lebenssituation wie auch die eigene Risikoeinschätzung einzubeziehen. Der Grund, weshalb ein Einstieg in die BU sehr jung empfohlen wird, liegt auf der Hand: Auf Grund des meist noch intakten Gesundheitszustandes und des dadurch (meist) geringen Beitrags.

Ich hoffe, ich konnte dir oben aufzeigen, wie Du dieses Risiko zumindest abfedern kannst – sofern Du es überhaupt als Risiko für dein Leben betrachtest. Am Ende unterliegt jede Versicherung deiner ganz persönlichen Entscheidung und Risikoeinschätzung.

Du hast Fragen dazu? Hast Du bereits Erfahrung mit einer Berufsunfähigkeitsversicherung im Leistungsfall gemacht? Nutze gerne die Kommentarfunktion, damit alle etwas davon haben.